(Werbung) Einen Briefkasten gab es. Einen für alle. So ein Plastikrohr an der Garage von einem unserer Nachbarn. Einen einzigen Briefkasten, einen blauen, in den der Zeitungsausträger ganz früh am Morgen mehrere Zeitungen steckte. Und nach und nach holten sich alle Nachbarn bei Wind und Wetter ihre Zeitung aus dem blauen Briefkasten. Manchmal war ich auch dran, als kleiner Stöpsel: Jana, hol mal schnell die Zeitung, sagte meine Oma dann. Dann musste man alle aus dem Briefkasten nehmen, auseinanderrollen, eine Zeitung nehmen, den Rest zusammenrollen und wieder reinstecken.
Und wo ich das schreibe, da frage ich mich, wer das so festgelegt hatte? Alle Tageszeitungen für die Nachbarn, die über eine großen Platz verstreut wohnten, in der Mitte des Platzes an einer Garage ablegen zu lassen. Jeder hatte doch seinen eigenen Briefkasten. Warum wurden dann die Zeitungen nicht direkt zu den Häusern gebracht? Ich werde meine Mutter mal fragen, vielleicht weiß sie es.
Denn diese Erinnerungen stammen aus meiner Kindheit. Groß geworden bin ich – vielleicht habe ich es sogar schon einmal erzählt? – in einem kleinen Dorf in Nordhessen. 2.000 Einwohner, das größte Dorf in der Gemeinde. Eine Grundschule, ein Kindergarten, ein Schreibwarengeschäft, zwei Lebensmittelmärkte. einer kleiner, der andere ein bisschen größer, Bäcker, Metzger, Friseure, ein Tretbecken – für uns im Sommer da Highlight… Für uns Kinder, viel Freiheit. Viel zu Entdecken, Erleben, im ganzen Dorf. Jeder kannte jeden.
Und jeder las sie. Die Tageszeitung. Auch meine Oma, jeden Morgen. Zu einer Tasse Kaffee. Was frühstückte meine Oma eigentlich? Auch Brötchen, wie wir Kinder damals? Oder Apfeltaschen, wie wir? Ich kann mich gar nicht mehr so erinnern. Aber noch immer an den Geschmack von DEN Apfeltaschen, DEN Nougattalern und DEN Nussecken. Aber all das gab’s wahrscheinlich nicht zum Frühstück. Vielleicht aber mit in die Schule? In eine Papiertüte eingepackt, an der immer ein bisschen vom Zuckerguß der Apfeltasche klebte.
Aber kommen wir zurück zur Zeitung. Waldeckische Landeszeitung, so hieß sie und so heisst sie. Die Tageszeitung, die den ganzen Landkreis auf dem Laufenden hielt und hält. Über Feste und Versammlungen, Sportereignisse und Vereinsnews. Über Neuheiten und Altbewährtes, wie Goldene Hochzeiten oder die neuesten Babies in da Hood.
Zum 18. Geburtstag bekam ich eine „Fröhliche Anzeige“ in der Zeitung, so hieß ein Stück gedruckter Platz in der Zeitung, vollgepackt mit besten Grüßen. Drin standen viele Glückwünsche von meiner Familie. Dass ich konfirmiert wurde, konnte man nachlesen, denn mein Name stand in einem kleinen Beitrag zusammen mit dem, der anderen Konfirmanden.
Sie gehörte zum Alltag dazu, wie die Tagesschau am Abend. Wir schnitten Bilder von unseren Schwärmen aus, sollten sie mal in der Zeitung abgebildet gewesen sein (weil sie zum Beispiel in einem der Vereine waren, über die berichtet wurde) und klebten sie ins Tagebuch. Jaaaa, so war das ohne Handys und Social Media.
Später da schrieb ich selbst mal für die Zeitung. Einige Berichte für die Jugendseite. Wie stolz ich da war. Dass alle nun meine Worte gedruckt lesen konnten. Sogar mit Foto der „Redakteurin“ a.k.a. me. Auch heute habe ich die Berichte noch ausgeschnitten in einem Ordner abgelegt.
Und nun, da kann ich es kaum glauben. Da kann ich noch einmal einen Artikel aus der Zeitung ausschneiden. Die ich immer noch lese, wenn ich meine Eltern besuche, denn da liegt sie Morgen für Morgen auf dem Frühstückstisch.
Durch einen schönen Zufall kam die Idee auf, dass ich doch einfach mal übers Bloggen erzählen sollte. Ich? Ich konnte es erst nicht glauben, aber sagte natürlich nur zu gerne zu! Denn wisst ihr, was das schöne ist, in so einem Stück Heimat stattzufinden? Dass es einfach auch eine so schöne Überraschung für die Familie ist. Beim Frühstück die Zeitung aufzuschlagen, und das Tochterkind zu sehen. Und auch als ich das tat, erstarrte ich kurz ehrfürchtig! Das war keine kleine 4×4 cm große „Fröhliche Anzeige“ – OMG! Mit soviel Präsenz hatte ich gar nicht gerechnet.
Und so klebt ein weiterer Ausschnitt aus der Waldeckischen Landeszeitung neben den anderen von vor einigen Jahren. Ein ganz besonderer.
Und wenn ich das nächste Mal in der Heimat bin, dann ist es gewiss, dass ich die Zeitung wieder von vorne bis hinten durchblättere. Bei einem Milchkaffee und dazu dem besten Kuchen, den mein Papa immer zum Frühstück mitbringt. Und spätestens dann denke ich vielleicht daran, meine Ma mal zu fragen, warum sich früher die Nachbarn einen Briefkasten geteilt haben. Vielleicht, weil alles Frühaufsteher waren und niemand zum Frühstück im Schlafanzug ging und es deshalb keine Sache war, die Zeitung draußen zu holen? Oder weil man sich da vielleicht schon auf ein Pläuschchen traf? Oder als Dank an den Zeitungsboten?